Dienstag, 12. Februar 2013

Streuobstwiese in Herringhausen




Ort: unbekannt
Baumarten: Apfelbäume, Birnbäume
Zeit: September 2012
Fotos: Meiko Haselhorst (NW)



Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum

IN HERFORD VERWURZELT (10): Es ist Erntezeit - doch intakte Streuobstwiesen sind selten geworden

VON MEIKO HASELHORST (NW 5.9.2012)

Uwe Höcker beißt in eine Zwetsche. Etwas säuerlich schmeckt sie. Aber wenn die Sonne noch ein paar Tage scheint, wird sie süß sein. Genau wie die anderen Früchte, die hier in rauen Mengen an den Bäumen hängen - vor allem Äpfel und Birnen. Die Streuobstwiese von Martin Lüking in Herringhausen ist eine der letzten ihrer Art.

"Die hat noch mein Großvater Heinrich gepflanzt", sagt Lüking. Der Ahne war damit in guter Gesellschaft - bis in die Nachkriegszeit hinein pflanzten die Deutschen reichlich Apfel-, Birnen-, Zwetschen-, Pflaumen- oder auch Walnussbäume. "Auch hier in Herford", sagt Baumspezialist Uwe Höcker.




Die Tradition geht allerdings noch viel weiter zurück: Die Römer brachten die gärtnerischen Kenntnisse einst nach Deutschland, in den Klöstern gab es im Mittelalter eine erste Obst-Blütezeit. "Eine richtige Kultur entwickelte sich aber erst nach dem 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648, Anm. d. Red.)", weiß Höcker. Der habe eine ungeheure Verwüstung zur Folge gehabt. "Beim Wiederaufbau der Städte und Dörfer wurden Obstgehölze an den Straßen und auch auf den Weideflächen des Viehs gepflanzt - die Leute waren ja größtenteils Selbstversorger", umreißt Höcker die Geburtsstunde eines Stückes Kulturlandschaft. Das sei so weit gegangen, dass Eheleute nach ihrer Hochzeit verpflichtet waren, Obstgehölze zu pflanzen.; Die Tradition - und auch die Notwendigkeit - der Streuobstwiesen zog sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Der Frischverzehr, so Höcker, habe dabei kaum eine Rolle gespielt. Die Früchte wurden zu Saft oder Mus verkocht, getrocknet oder eingemacht. "200 Einmachgläser im Keller waren keine Seltenheit", sagt Höcker.

Angebaut wurde seinerzeit nicht nach Schönheit, sondern nach Nutzen. "Einfuhren aus Neuseeland gab es genauso wenig wie Normenvorschriften aus Brüssel ", sagt Höcker und lacht. Über die Jahrhunderte entstanden allein in Deutschland etwa 1.000 Apfel- und 2.000 andere Obstsorten. "Goldparmänen, Stern- und Graurenetten, Jakob Lebel, Kaiser-Wilhelm-Apfel oder ,der Schöne aus Boskoop, wie eine der bekanntesten Sorten mit komplettem Namen heißt", sagt der Rentner.

Bei den Birnen sieht es ähnlich vielfältig aus: Boscs Flaschenbirne, Pastorenbirne oder Madame Verté lauten einige Namen. "Die Menschen waren stolz auf die verschiedenen Sorten - es wurden Namen der Fundorte oder auch von bekannten Persönlichkeiten gewählt", erklärt Höcker.

Kurios: Die Sorten wurden über die Jahrhunderte vegetativ weitervermehrt. "Das heißt zum Beispiel, dass alle Boskoops von einem einzigen Baum abstammen und genetisch absolut identisch sind", erklärt Höcker mit wachsender Begeisterung.; Beim Volk hingegen nimmt die Begeisterung für Obstbäume eher ab: Heutzutage, bedauert Höcker, mache sich ja kaum noch jemand die Mühe, einen Apfelbaum abzuernten. "Fallobst vergammelt, weil die Menschen es für ungenießbar halten." Stattdessen kaufen sie ihr Obst im Supermarkt und klagen über hohe Preise.

Leidtragende des Niedergangs der Obstwiese sind die Tiere. "Es gibt unzählige Insekten, die sich auf diesen Lebensraum spezialisiert haben", sagt Höcker. Auch größere Geschöpfe wie Hasel- und Fledermaus, Specht und Steinkauz fühlen sich auf der Obstwiese wohl. Nicht zur vergessen der Mensch - auch, wenn die Zwetsche zurzeit noch säuerlich schmeckt.

Neue Westfälische 05.09.2012

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